Coronavirus- das Thema, was die Nachrichten und das Leben der Menschen aktuell beherrscht.
In Frankreich, wo wir aktuell leben, hat der Präsident eine Ausgangssperre verhängt, für mindestens zwei Wochen. Doch die Wahrscheinlichkeit der Verlängerung ist hoch. Das heisst für uns: Die Familie sitzt zu Hause und das auf unbestimmte Zeit. Mein Mann macht Telearbeit und die Kinder müssen Schularbeiten zu Hause erledigen.
"Ist ja wie Urlaub", sagt meine Tochter. Und auch mein Sohn jubelt, dass er nicht in die Schule muss.
Doch es ist eben kein Urlaub, sondern eine Krise, die unsere Freiheiten als Individuen massiv einschränkt. Eine neue und auch belastende Situation für alle. Wie oft muss ich den Kindern erklären, dass wir uns nicht mit Freunden treffen können und nein, schwimmen, reiten und alle anderen Hobbies finden auch nicht statt. Da ist die Freude über "keine Schule" plötzlich nicht mehr so groß.
Wie also gehen wir mit der Krise um? Als Familie versuchen wir die gewohnte Alltagsstruktur aufrechtzuerhalten. Also stehen wir zur normalen Zeit auf, frühstücken, ziehen uns an. Am Vormittag machen die Kinder ihre Hausaufgaben für die Schule. Am Nachmittag wird gespielt, gebastelt, gemalt und Sport gemacht. Das Fazit der ersten drei Tage: Stimmung ist gut, die Kinder motiviert und noch fallen uns Ideen zur Beschäftigung ein. Doch es ist eben auch erst der 3. Tag. Von wie vielen, das wissen wir ja noch nicht.
Individuell geht jeder anders mit einer Krise um. Ich selber habe unterschiedliche Phasen. Mal will ich soviel wie möglich über die aktuelle Situation wissen und surfe ewig im Internet. Dann ergreift mich Panik und Angst vor der ungeklärten Situation und ich versuche mich abzulenken. Ich suche den Kontakt nach außen, schreibe anderen Müttern, Freunden und habe viel Kontakt zu meiner Familie in Deutschland. Auch wenn ich damit keine neuen Informationen erhalte, will ich mich doch austauschen und Sorgen teilen, Ideen und Gedanken austauschen.
Mein Mann ist da anders. Es ist eher "matter of fact", sucht zwar auch nach Informationen, bleibt dabei aber eher für sich. Er ist immer auf dem neusten Stand, könnte mir aber nicht sagen, wie es seinen Familienangehörigen in Deutschland geht.
Was ist aber eigentlich eine Krise?
Krise kommt aus dem griechischen und bedeutet Meinung, Beurteilung oder Entscheidung. Dies lässt schon darauf hindeuten, dass die Beurteilung, was eine Krise ist durchaus persönlich und individuell ist. Im Sinne der Krisenforschung spricht man bei einer Krise von Ereignissen, die eine akute Gefahr für Lebewesen und die Umwelt bedeuten.
In der Psychologie unterscheidet man verschiedene Typen von Krisen. Einige Krisen sind in unserem Leben vollkommen normal, dazu gehören die Veränderungskrisen. Das sind die Geburt, die Pubertät, die Wechseljahre oder Midlife-Crisis und der Eintritt ins Rentenalter. Das sind also Krisen, die unser Leben für uns bereithält, wir aber vielleicht nicht unbedingt als Krise erleben.
Belastende Lebensumstände sind Krisen, die uns unvermittelt treffen, weil uns etwas zustößt, ein Unfall zum Beispiel oder der Verlust des Jobs.
Naturkatastrophen sind globale Krisen, die viele Menschen treffen, aber auf jeden individuelle Auswirkungen haben.
Sind die Situationen so gravierend, dass sie massive seelische Verletzungen bei uns hinterlassen, sprechen wir von einem Trauma.
Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit innere Stärke zu entwickeln.
Dalai Lama
Wie kommt es nun, dass Krisen unterschiedlich erlebt werden und unterschiedliche Spuren hinterlassen?
In der Psychologie spricht man von Resilienz, was übersetzt aus dem lateinischen abprallen bedeutet. Als Fachbegriff wird es genutzt, um die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen zu beschreiben. Das heißt, auf welche Fertigkeiten und Eigenschaften kann der Mensch in Krisen zurückgreifen, um die Situation zu meistern?
Resilienzfaktoren entwickeln sich vor allem im Laufe der Kindheit. Wie gut die Resilienz eines Einzelnen ist, hängt von dessen Entwicklung ab. Unter welchen Bedingungen bin ich aufgewachsen? Habe ich Fürsorge, Liebe und Zuneigung erlebt? Bin ich in Armut aufgewachsen? Habe ich im Laufe meines Lebens positive Erfahrungen gemacht, habe gelernt mit Problemen umzugehen, habe gelernt, was meine Stärken und Schwächen sind? Wurde ich durch wichtige Bezugspersonen gestärkt, fühlte mich sicher und beschützt?
Je mehr positive und bereichernde Erfahrungen ein Mensch in seiner Kindheit gemacht hat, desto mehr Resilienzfaktoren konnten sich entwickeln. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass wir im Erwachsenenalter die Herausforderungen des Lebens erfolgreich oder weniger erfolgreich meistern. Natürlich lassen sich Strategien und Widerstandsfaktoren auch im weitern Verlauf des Lebens aufbauen, doch den Grundstock wird in der Kindheit gelegt.
Resilienzfaktoren sind auch der Grund, warum zwei Menschen auf ein und dieselbe Situation unterschiedlich reagieren. Jede Person, abhängig von ihrem Background und ihren Erfahrungen erlebt und bewertet eine Situation anders und wird daher auch anders reagieren.
Die Situation rund um den Coronavirus löst in mir phasenweise Hilflosigkeit aus, weil ich keine Chance habe der Situation zu entgehen oder sie zu verändern. Trotzdem stürzt es mich nicht in eine persönliche Krise. Ich habe in meinem Leben eine positive Sicht auf die Dinge gelernt, habe ein Urvertrauen entwickeln können, dass mir das Gefühl gibt, dass es immer irgendwie weitergeht. Ich weiß um meine Stärken und Schwächen und arbeite damit umsichtig in solchen Situationen. Das heißt, ich setze mich mit meinen Gefühlen auseinander, mache mir bewusst, was ich fühle und suche nach Möglichkeiten der Veränderung. Ich akzeptiere Situationen, die ich nicht ändern kann und habe Strategien gelernt diese auszuhalten.
Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht übrigens aus zwei Teilen, der Gefahr/Risiko und der Chance. Ein hoffnungsvoller Ausblick, den wir nutzen sollten, um den nächsten Wochen mit einem positiveren Blick begegnen zu können.
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